Mit einem Anteil von rund 37 Prozent an den energiebedingten CO₂-Emissionen trägt die Immobilienbranche eine erhebliche Verantwortung, Dekarbonisierungsstrategien konsequent voranzutreiben – um globale Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und die Risiken des Klimawandels zu minimieren. Schätzungen zufolge könnten weltweit bis zu 24,2 Billionen US-Dollar – das entspricht nahezu 17 Prozent des globalen Finanzvermögens1 – durch klimabedingte Risiken gefährdet sein. Besonders die Immobilienwirtschaft ist gefordert, jetzt entschlossen zu handeln. Aufgrund stetiger Verschärfungen energetischer und CO₂-relevanter Standards könnten allein in Europa rund 1,5 Billionen Euro² an Immobilienvermögen von Entwertung bedroht sein. Diese Entwicklung macht deutlich, wie dringend skalierbare, sektorübergreifende Lösungen benötigt werden, um die Dekarbonisierung zu beschleunigen und den langfristigen Wert von Vermögenswerten zu sichern.
Um dieser Herausforderung zu begegnen, hat das Urban Land Institute (ULI) im Rahmen seiner renommierten Programme “C Change und Net Zero Imperative” ein so genanntes Advisory Panel in Berlin durchgeführt. Der daraus entstandene Bericht identifiziert zentrale Hürden auf dem Weg zur Dekarbonisierung und formuliert sieben universell anwendbare Handlungsempfehlungen zur Beschleunigung der Transformation im gebauten Umfeld. Das Panel – bestehend aus führenden Expertinnen und Experten der Immobilienbranche – entwickelte anhand zweier Berliner Stadtteile strategische Empfehlungen, die ökologische Nachhaltigkeit, Resilienz sowie das Wohlergehen der Geseschaft in den Mittelpunkt stellen.
Das Panel nahm zwei Berliner Ortsteile in den Fokus: die Buckower Höfe – ein großes, sozial geprägtes und Wohnquartier im Bezirk Neukölln – sowie den Kurfürstendamm in West-Berlin, ein traditionell bedeutender Einzelhandelsstandort, der sich weiterhin immer wieder wandeln wird, um attraktiv zu bleiben.
Die Bedeutung von Dekarbonisierungsmaßnahmen und der Vermeidung von „gestrandeten“ Immobilien wird durch die wirtschaftlichen Folgen deutlich. Besonders ältere, ineffiziente Gebäude sind von dieser Entwicklung stark betroffen. Zu den Risikofaktoren, die zur „Strandung“ führen können, zählen die finanziellen Auswirkungen von CO₂-Bepreisung, Energiestandards und Offenlegungspflichten, die Verschiebung der Marktnachfrage hin zu nachhaltigeren Gebäuden, physische Klimarisiken durch extreme Wetterereignisse und steigende Temperaturen sowie Marktentwicklungen wie demografische Veränderungen und die Zunahme von Homeoffice-Arbeit, die das Risiko der Obsoleszenz erhöhen.
Besonders gefährdet ist älterer, bezahlbarer oder sozialer Wohnraum. In solchen Fällen ist die Wirtschaftlichkeit für Eigentümer, in Sanierung oder Erneuerung zu investieren und die Kosten wieder zu amortisieren, häufig eingeschränkt. Die Investitionskosten müssen in der Regel selbst von den Eigentümern getragen werden, während die Vorteile – wie niedrigere Energiekosten für die Bewohner, höhere Steuereinnahmen für den Staat und gesellschaftlicher Nutzen durch Umweltvorteile – unter verschiedenen Stakeholdern verteilt sind.
Um die Investitionen in die Dekarbonisierung voranzutreiben, ist ein neues Denkmodell erforderlich: Weg von einem rein kostenorientierten Ansatz hin zu einer ganzheitlichen Investitionsstrategie, die die Dekarbonisierung in eine umfassende städtebauliche Regeneration integriert. Potenzielle Lösungsansätze umfassen die Nachverdichtung urbaner Projekte, eine breitere und diversifizierte Nutzung von Immobilien, innovative Finanzierungsinstrumente sowie Governance-Modelle, die soziale Kosten minimieren. Zudem ist eine stärkere Führungsrolle des öffentlichen Sektors erforderlich, ebenso wie Gesundheitsförderung und der Aufbau widerstandsfähiger Gemeinschaften – um eine gerechte und wirtschaftlich tragfähige Klimatransformation über alle Immobilienklassen hinweg zu ermöglichen.
Sabine Georgi, Geschäftsführerin ULI Deutschland, Schweiz, Österreich: „Um die klimapolitischen Herausforderungen erfolgreich zu meistern, ist es entscheidend, die Dekarbonisierung nicht nur als Chance für den klimapolitischen Erfolg zu betrachten, sondern auch als einen strategischen Beitrag zur langfristigen Resilienz und wirtschaftlichen Vitalität von Städten, der soziale Inklusion fördert und eine gerechte Transformation unserer Städte ermöglicht. Dieser ganzheitliche Ansatz führt zu Agglomerationseffekten und bildet einen Beispielfall, der die Dekarbonisierungmaßnahmen nicht nur wirtschaftlich tragfähiger macht, sondern auch einem, der die Umsetzung maßgeblich beschleunigt.“
Dr. Haris Piplas, Architekt und Stadtplaner, Advisory Panel Mitglied, Drees & Sommer Berlin, ergänzt: „Um das gesamte Spektrum der Vorteile, die Dekarbonisierungsmaßnahmen bieten können, auszuschöpfen, sind Lösungen erfordert, die über einzelne Assets hinausgehen, sich auf ganze Stadtviertel konzentrieren, und möglichst viele Stakeholder einbeziehen, die von den Maßnahmen profitieren können. Die Ergebnisse unseres Advisory Services Panels bieten wertvolle Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige und sozial ausgewogene Quartiersentwicklung und unterstützen die gerechte Transformation unserer Stadtteile hin zu wirtschaftlich florierenden, lebenswerten und nachhaltigen Gemeinschaften.“
Zusammengefasst, enthält der Bericht die folgenden Prinzipien:
- Denkmusterwandel: Vom Kosten- zum Investitionsansatz
Dekarbonisierung wird als Investition betrachtet, die langfristig wirtschaftliche, soziale und ökologische Renditen erzielt. Dies wird durch einen Mix aus öffentlicher und privater Finanzierung unterstützt, der Risiken verteilt und Interessen ausgleicht. - Klarheit über Nutzen, Kosten und Führung
Governance-Strukturen müssen klar definieren, wer von der Dekarbonisierung profitiert, wer die Kosten trägt und wer die Führung übernimmt – insbesondere bei Immobilien mit hohem „Stranding“-Risiko. Verantwortlichkeiten und Nutzen müssen dabei in Einklang gebracht werden. - Integrierte, ortsbezogene Vision
Dekarbonisierung bedeutet nicht nur die Reduktion von Emissionen, sondern auch die ganzheitliche Revitalisierung ganzer Quartiere zu nachhaltigen, resilienten Lebensräumen, die Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsvorteile bieten. - Governance und gemeinschaftliches Eigentum: Langfristiger Erfolg auf Quartiersebene erfordert Strukturen, die Verantwortung, Finanzierung und strategische Planung bündeln und auf gemeinsame Ziele ausrichten.
- Beispielfall für erfolgreiche Stadtentwicklung
Höhere Flächenausnutzung, gemischte Nutzungen, soziale Infrastruktur und klimaresiliente Maßnahmen können durch entsprechende Wertschöpfungsmechanismen zu einer höheren Produktivität und Lebensqualität führen. - Zyklische Wertschöpfung
Investitionen in nachhaltige Infrastruktur, Dichte und Mischnutzung schaffen langfristige Mehrwerte – vorausgesetzt, sie sind in ein kohärentes, standortbezogenes Konzept eingebettet und die Kosten-Nutzen-Verteilung erfolgt fair. - Systemisches Denken über alle Ebenen hinweg
Dekarbonisierung muss auf Gebäude-, Quartiers- und Stadtebene ganzheitlich geplant werden – integriert und skaliert.
Der ULI-Bericht zeigt, wie diese Leitprinzipien konkret in den beiden Berliner Fallstudien umgesetzt werden können.
Den vollständigen Bericht „Berlin – Turning Risk into Opportunity: Decarbonising Stranded Assets at a Neighbourhood Scale“ finden Sie unter: ULI Knowledge Finder.